Reinhard Keiser (1674-1739)

Te Deum laudamus

Besetzung

Soli – Coro
Soprano I, II – Alto – Tenore – Basso
Clarino 1-3, Timpani, Oboe 1, 2; Violino 1, 2; Viola, Continuo

Wenn ein Stück geeignet ist, Keisers Artung als Kirchenkomponist eindeutig vor Augen zu führen, so ist es sein "Te Deum" in D-Dur. (Petzold)

Im Vergleich zum Opernschaffen ist die Zahl der geistlichen Werke zwar klein, jedoch keineswegs unbedeutend: Ca. 27 Kantaten, zwei Messen, Messeteile, sechs Oratorien und weitere kleine Stücke liegen neben dem "Te Deum" vor. Die Entstehung vieler dieser Werke wird mit Keisers Wirken am Hamburger Dom in Verbindung gebracht, obwohl sich keines dieser Werke bisher zweifelsfrei datieren ließ. Für das "Te Deum" ist mit dem 4. April 1736 zumindest ein Aufführungstermin belegt, der in Keisers Domkantorenzeit fällt. An diesem Mittwoch nach Ostern wurde es zusammen mit einem Auferstehungsoratorium von Francesco Gasparini aufgeführt.

Keiser folgt mit seinem Werk in wesentlichen äußeren Zügen der Gattungstradition der barocken "Te Deum"-Vertonung. Entsprechend dem häufig belegten Kompositionsanlaß (Sieges-, Hochzeits- und Krönungsfeiern und andere repräsentative Anlässe) hat sich eine Standardbesetzung etabliert: ein großer Chor, Solisten und ein reich besetztes Orchester mit Pauken und Trompeten.

Wenngleich sich die Kompositionen so im Groben gleichen, unterscheiden sie sich doch erwartungsgemäß beträchtlich in der Behandlung des Textes. Der Lobgesang "Te Deum laudamus" (ursp. Hymnus des Stundengebets) ist aus einzelnen Versen gebaut, die inhaltlich in einem Lob-Teil (bei Keiser Nr. 1-5, u.a. alle "Te..."-Verse), einen Huldigungs-Teil (Nr. 6-8, alle "Tu..."-Verse) und einen Bitt-Teil (Nr. 9-15) gruppieren. Die Respektierung dieser Abschnitte ist keinesfalls selbstverständlich; jeder Komponist entscheidet individuell über die Aufteilung der Verse. Bei Keiser wird sowohl die Abschnittbildung als auch die Textvertonung im einzelnen klar und logisch nachvollziehbar; beispielsweise im fünften Satz ("Te gloriosus"), in dem die sieben Verse ungleich auf drei nacheinander singenden Solisten verteilt werden, um die vier trinitarischen Verse einem Solisten (dem Baß) zuweisen zu können. Die Behandlung des "Tibi Cherubim" verrät Keisers Gespür für das dramatische Potential des Textes. Keiser isoliert diesen einzelnen Vers zu einer eigenen Nummer (Nr.2), um ihn quasi als ,Ansage‘ (solistische Besetzung) mit Doppelpunkt (Halbschluß) für das nachfolgende große "Sanctus" (Nr. 3 u. 4) einsetzen zu können.

Keiser nähert sich dem Text auf dem Wege der großen Disposition. Er nutzt zudem satztechnische, instrumentatorische und harmonische Mittel. Tuttistücke werden zuweilen polyphon, meistens aber eher akkordisch-durchsichtig gehalten. Sie wechseln mit melodisch geprägten Kleinstbesetzungen, z. T. nur mit Continuo-Begleitung. Extravagante Instrumentierungen trifft man hier nicht an, dennoch wird die Wahl der Besetzung immer dem Duktus des Textes gerecht. Ein gutes Beispiel ist der zwölfte Satz, bei dem – singulär im "Te Deum" – eine einzelne Instrumentalstimme (Violine 1) zur Solostimme gefordert wird. Das Stück erhält durch die leichten Bewegungen der Violinstimme einen sehr filigranen, intimen Charakter. Hier spricht gleichsam die Seele des Volkes, treffenderweise durch einen Solosopran repräsentiert.

An der Art, wie und wo Keiser zur traditionellen polyphonen Schreibweise greift, zeigt sich deutlich, daß dieser Satztypus für ihn nicht mehr ,Muttersprache der Komposition‘, sondern Stil- und Gestaltungselement zu sein scheint. Der polyphone Satz tritt im "Te Deum" als Merkmal kürzerer Abschnitte auf (zweiter Teil von Nr.3, "Sanctus": "Heilig, heilig Herr Gott Zebaoth" und zweite Hälfte von Nr.6, "Tu rex gloriæ": "Du ewiger Sohn des Vaters"), prägt aber auch ganze Stücke (Nr.11 u. 14). Wie häufig auch bei Bach zu beobachten, wird der strenge Satz als Kunst der Alten, als Erbe einer vergangenen Zeit gerade an solchen Textstellen eingesetzt, die auf Ewiges und Unverbrüchliches rekurrieren. Bei Nr.3, 6 und 11 ist der polyphone Satz ein textbedingtes Stilmittel; bei Nr.14 dagegen vermutlich ein reines Gestaltungselement: Die Bitte des Volkes muß intensiviert werden, daher wird der musikalische Satz dichter. Dieser Satz ist dynamisch eine ungeheuer wirksame Vorbereitung auf den Schluß- und Höhepunkt des "Te Deum", auf die Zusammenfassung aller Bitten des Hymnus ("Auf dich, Herr hoffe ich, daß ich nicht zuschanden werde"), sowohl in instrumentatorischer Hinsicht (Nr.14: kleines Tutti, Nr.15: großes), als auch in harmonischer; Nr.14 endet mit einem großen auskomponierten Ritardando auf der Dominante, worauf sich attacca der letzte Satz anschließt.

Keiser neigt zu äußerst knappen Satzformen; die Form der Da Capo-Arie spart er im "Te Deum" z. B. völlig aus. Er bemüht sich um ein enges Wort-Ton-Verhältnis, ohne jedoch dabei zu übertreiben: Textausdeutung geschieht eindringlich, aber nicht aufdringlich; wichtige Aufgabe bleibt die Schaffung von Musik. Sehr beliebt sind Orchestereffekte (Tonrepetitionen, Tremoli) und markante Baßfundamente (u. a. Ostinati). Gerade die reizvollen melodischen Einfälle sind es meistens, die, obgleich etliche davon über funfzig Jahr alt sind, noch lieblich klingen... (Hasse).

Das "Te Deum" erfüllt damit voll und ganz seinem Zweck als repräsentative Festmusik, von der vor allem auch wegen ihrer knappen Form nicht die theologisch-musikalischen Tiefen einer "Brockespassion" zu erwarten sind. In Anbetracht seiner hohen kompositorischen Qualität ist das Werk jedoch weit entfernt von billiger, forcierter Prachtentfaltung.

Hendrik Dochhorn

Noten

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